Emotionale Intelligenz
Information
Die klassische Definition der Intelligenz als der Fähigkeit zur Problemlösung und zum Umgang mit komplexen Zusammenhängen bezog sich ausschließlich auf den sprachlichen, mathematischen und technoschen bereich, allenfalls auch auf denjenigen des räumlichen Denkens (obere Hälfte der Abb.1).
Gardener glaubte eine intelligente Handhabung auch bei anderen Fähigkeiten des Menschen aufgezeigt zu haben. Er stützte sich vornehmlich auf Funktionsausfälle des Gehirns bei Erkrankungen und auf phylogenetische Überlegungen. Das führte ihn zur Hypothese von einer multiplen Intelligenz (MI). Zu ihren 7 Feldern zählt auch die emotionale Intelligenz in zwei Formen.
Ergänzung
Die interpersonale, also zwischenmenschliche emotionale Intelligenz ist eine Funktion, die man auch schon bei sozial lebenden Tieren in Ansätzen findet. Denn auch sie müssen ja mit einander auskommen, irgendwie Rücksicht nehmen, Rangordnungen festlegen und einhalten, sogar dem Artgenossen helfen. Insgesamt ist die interpersonale Intelligenzform entwicklungsgeschichtlich jünger, nutzt auch andere Gehirnzentren als die intrapersonale. Sie vermag bis zu einem gewissen Grade die auffällige Größe des Gehirns vieler Primaten zu erklären.
Intelligenz allgemein kann man definieren als
die Fähigkeit, bisher unbekannte Probleme zu lösen,
und zwar vorwiegend mit den Informationen, die das Gehirn im Gedächtnis schon vorhält, aber als Reaktion auf aktuelle Anregungen. Es gibt viele andere Definitionen.
Der Begriff “Intelligenz” wird also eigentlich als eine Funktion des Verstandes benutzt, bedarf somit des Bewusstseins. Da im Alltag und in der Psychologie früherer Jahrzehnte der Verstand das Gegenteil zum Gefühl ist, und da Gefühle unbewusst auftreten, erscheint sehr vielen schon der Begriff der “emotionalen Intelligenz” als ein Widerspruch in sich, ein Oxymoron wie etwa “Feuerwasser”. Schon daher wird die Theorie von vielen bekämpft.
Man kann sich die Intelligenz vorstellen als eine kompetente Suchfunktion, die aber (anders als Google) die ermittelten Suchergebnissen mit den Zielbedingungen vergleicht dann die vermutlich optimale Alternative auswählt und präsentiert. Im emotionalen Bereich könnte das unbekannte, zu lösende Problem (zum Beispiel während eines Streitgesprächs) die psychische, gefühlsmäßige Reaktion des Gegenüber auf eine unbedachte Äußerung sein. Da dann der Verstand auf den rationalen Inhalt dieser Äußerung reagieren muss, also beschäftigt ist, muss die zweckdienliche gefühlsmäßige Reaktion unbewusst ausgewählt werden. Das Resultat, im Gespräch auch “automatisch” den richtigen Ton zu finden, um den Partner nicht zu verärgern, kann durchaus intelligent erscheinen und eventuell auch sein. Die Intelligenz im emotionalen Bereich müßte dann aber ohne die bewusste Aufmerksamkeit auskommen.
Salovey und Meyer haben 1990 aus derartigen Überlegungen heraus den Begriff einer emotionalen Intelligenz propagiert. Ähnliche Überlegungen gab es schon vorher. Nach dem weltweiten Erfolg des Bestsellers von Goleman (1995) mit dem gleichen Titel erreichten Gedankengänge in dieser Richtung besonders große Zustimmung in der Pädagogik.
Ob man den herkömmlich für rationale Aufgaben des Verstandes (Denken, Planen, Kalkulieren usw.) reservierten Begriff “Intelligenz” gemäß dieser Erkenntnis auch auf andere Hirnfunktionen (hier also die Emotionen) ausdehnen soll, ist gelegentlich noch strittig. Gardner plädierte für multiple Intelligenzen in den kognitiven Hauptfunktionen, aber auch im musikalischen und kinästhetischen und dann auch im emotionalen Bereich, weil diese Fähigkeiten bei bestimmten Läsionen des Gehirns vollständig ausfallen können, und gleichzeitig alle übrigen Fähigkeiten des Gehirns erhalten bleiben können. Er wehrte sich gegen die Vorstellungen der diskriminierenden Psychologie, dass in diesen Fällen nur Sekundärfunktionen des Gehirns ausgefallen seien, dass aber die Intelligenz als übergeordnete Querschnittsfunktion (siehe g-Faktor) bestehen und funktionsfähig geblieben sein könnte.
Die folgende Grafik illustriert die Einteilung der multiplen Intelligenz nach Gardner:
Erklärung
Die intelligente Handhabung der Gefühle (Emotionen) findet offenbar getrennt für die Gefühle, die uns selbst betreffen (intrapersonal) und für die, die bei unseren Beziehungen zu anderen (interpersonal) eine Rolle spielen, statt. Man hat mit bildgebenden Verfahren inzwischen auch separate Zentren im Gehirn gefunden, in denen diese Intelligenzfunktionen ablaufen.
Abbildungserklärung 1: Multiple Intelligenzen. Die klassische Definition der Intelligenz als der Fähigkeit zur Problemlösung und zum Umgang mit komplexen Zusammenhängen bezog sich ausschließlich auf den sprachlichen und mathematischen sowie auf den Bereich des räumlichen Denkens (obere Hälfte der Abb.). Es ist wohl ein Verdienst Gardners, intelligente Handhabung auch bei nicht rationalen (verstandesmäßigen) des Menschen aufgezeigt zu haben. Längsschnittuntersuchungen zu Ergebnissen mit Intelligenztests wiesen ihm den Weg. Vielfältige Befunde zum Beispiel aus der Pathologie schienen seine Hypothese von einer multiplen Intelligenz (MI) zu stützen. Sie können allerdings auch durch eine übergeordnete intelligente Querschnittsfunktion erklärt werden. Zu ihren parallelen Feldern zählt auch die emotionale Intelligenz, und zwar in einer intrapersonalen und einer interpersonalen Form. Wichtigste intrapersonale Funktion ist die Sebstbeherrschung.
Erklärung
Die Intelligenz ist grundsätzlich angeboren. Das ergibt sich zum Beispiel aus Untersuchungen zum Intellligenzquotienten: Nach Ausreifung des Gehirns, also nach dem 25. Lebensjahr ändert er sich praktisch nicht mehr.
Aber in der Jungend muss die Intelligenz ausreichend trainiert werden, damit sie das genetisch vorgegebene Ausmaß überhaupt erreicht. Versäumnisse lassen sich nachholen, wie Bemühungen an amerikanischen Soldaten ergaben. Derartige Zuwächse wurden fälschlich als Anhalt dafür gewertet, dass das Ausmaß der Intelligenz zu gewissen Teilen erworben sei.
s.u. Kasten Suchfunktion.
Kompetenz als Produkt aus Können und Intelligenz
Zwischen dem Begriff “emotionale Kompetenz” und einer “emotionalen Intelligenz” wird in der Literatur allzu oft nicht scharf getrennt. Kompetenz ist der viel weitere Begriff. Auf der Seite “Kompetenz” habe ich erklärt, dass sie ein Produkt aus Wissen und Intelligenz ist. Beurteilt man die Kompetenz, muss man mit erworbenen (Wissen) und angeborenen (Intellligenz) Anteilen rechnen, und zwar in variabler Relation. Aus einer Missachtung dieser Zusammenhänge ist die jahrelange Diskussion, ob Intelligenz angeboren oder erworben sei, zu erklären.
Kompetenz ist auch im emotionalen Bereich wichtig für das Verhalten, für den eigenen Erfolg. Der Mensch beginnt schon im Kindergartenalter, Kompetenzen zu entwickeln. Im Kindergarten kann man die emotionale Kompetenz bereits testen und beurteilen, um gezielt zu helfen, um die Intelligenz trainieren zu können. Nach ihrer Ausreifung, also im Erwachsenenalter, spricht man gerne von sozialen Stilen. Man versteht darunter Verhaltensmuster, die auf angeborenen Trieben fußen, aber dann im Verlauf der sogenannten “Enkulturation”, also der Einpassung des Individuums in die Gepflogenheiten und Fähigkeiten der Gesellschaft, ausgeprägt werden.
Im Ratgeber “Emotionale Kompetenz - Gehirnforschung und Lebenskunst” ist dieses Lernen ausführlich beschrieben (siehe unter “Der Ratgeber”).
Emotionale Intelligenz als Auswahl von Mustern; Selbstbeherrschung
Die emotionale Intelligenz verhilft zu angepasstem Verhalten, wenn die rationale Intelligenz die Aufmerksamkeit und den relativ kleinen Arbeitsspeicher für bewusste Entscheidungen belegt hat, wenn man sich also zum Beispiel in einem wichtigen Gespräch auf das Gesagte konzentrieren muss. Auf emotionaler Ebene wird dann mit Hilfe der Empathie die Reaktion des Gesprächspartners überwacht und die geeignete eigene angepasste Reaktionsform ausgewählt. Hierzu stehen dem Individuum schon erprobte Handlungsmuster zur Auswahl, also vielleicht ein besänftigender Tonfall.
Selbstbeherrschung ist zum Beispiel ein sehr wichtiges Reaktionsmuster, also die Fähigkeit, zunächst innezuhalten, somit reflexartige, gefühlsbedingte Aktionen zu verhindern. Dann hat der Verstand gegebenenfalls Zeit, die optimale Handlungsalternative bewusst zu planen und zu veranlassen. Mancher hat “angeboren” das Talent, automatisch gut angepasst zu reagieren, mancher würde es gerne können. Man kann Selbstbeherrschung trainieren, wenn man will, und wenn man weiß, wie. In meinen Büchern “Emotionale Kompetenz” und “Emotionspsychologie im Krankenhaus” beschreibe ich das ausführlich, nachdem die zugrunde liegenden Funktionen erläutert worden sind.
Beim sogenannten Marshmallow-Test wird 5-jährigen Kindern je eine dieser Süßigkeiten gegeben. Es wird ihnen klargemacht, dass sie den Marshmallow gleich essen dürfen, dass sie allerdings nur einen zweiten bekommen, wenn sie 10 Minuten mit dem Essen warten. Etwa die Hälfte der Kinder bringt die nötige Selbstbeherrschung auf, kann also das weniger interessante Ziel (einen M. zu essen) zugunsten des höherwertigen Ziels (zwei zu erhalten) aufschieben. Die Psychologie spricht dann von Willensstärke. Man konnte zeigen, dass 12 Jahre später (!) die Kinder, die den zweiten M. erhalten hatten, sozial deutlich kompetenter geworden waren und auch bessere Schulerfolge vorwiesen.
Die folgende Abbildung soll eine Vorstellung geben von der Funktionsweise der Intelligenzen, wenn eine Handlung erforderlich wird (auch eine Antwort im Gespräch ist eine Handlung).
Abbildungserklärung 3: Einwirkungsmöglichkeiten der emotionalen Intelligenz auf dem Weg vom Reiz zur Reaktion: Die direkte Auslösung einer Reaktion durch einen Reiz (etwa der Anblick eines ungezogenen Schülers) geht sehr schnell, aber undifferenziert (Reflex, unterste Zeile). Die “impulsive” Reflexantwort könnte ein Ausruf, aber auch brachiale Gewalt sein. Im Gehirn des Erwachsenen sind zwischen Reiz und Reflexreaktion bewährte spezifizierende Handlungsmuster vorgegeben. Aus ihnen kann die (unbewusste, emotionale) Intelligenzfunktion unter Berücksichtigung der aktuellen Gegebenheiten und der individuellen Erfahrung auswählen, sie kann sie auch modifizieren (unbewusst, mittlere Zeile). Derartige Muster können Verzögerungen der Handlung, also Selbstbeherrschung vorsehen, die ein zusätzliches Eingreifen der (bewussten) rationalen Intelligenz ermöglichen (obere Zeile). Zeitangaben sind grobe Anhaltswerte.
Die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung gehört zu den Vorausetzungen der Grundschul-Reife
Abbildungserklärung 2: Begabung und Intelligenz sind unterschiedlich verteilt. Das gilt natürlich auch für den emotionalen Bereich. Zur Demonstration sind eine Testperson mit sehr gleichmäßiger Fähigkeitsverteilung (blau) und eine mit isolierten Kompetenzen im Bereich der Führungsfähigkeit, aber mit Kompetenzlücken in anderen Bereichen (rot) und eine mit bevorzugter sozialer Einstelllung (grün) dargestellt. Die Teilbegabungen entsprechen der täglichen Erfahrung und der von Goleman vorgeschlagenen Unterteilung, sind wissenschaftlich aber noch nicht belegt.
Ergänzung
Zu gewissen intelligenten Funktionen ist schon das Gehirn des Kleinkindes imstande, und dafür gibt es auch Messmethoden. Emotional intelligente Reaktionen misst man im 5.Jahr (Marshmallow-Test). Die Reifung der Netzwerke des Gehirns, sichtbar an der Ausbildung der Myelinscheiden der Nervenfasern, findet im Präfrontalhirn besonders spät und langsam statt. In dem Teil des Gehirns, in dem nach der funktionellen Darstellung intelligente Funktionen ablaufen, ist die Reifung erst etwa mit dem 17. Lebensjahr abgeschlossen.
Erklärung
Der Weltbestseller “Emotionale Intelligenz” von Goleman hat mich auf das Thema gebracht. Zu einem genaueren Studium sah ich mich veranlasst, weil Goleman die Begriffe Intelligenz und Kompetenz synonym verwendet. Ein Unterschied scheint ihm nicht bewusst gewesen zu sein. Im Kapitel über emotionale Kompetenz bin ich auf diesen Unterschied schon eingegangen.
Erklärung
Marshmallow-Test: Wenn man 5-jähriben Kindern eine Süßigkeit austeilt und ihnen klarmacht, dass sie eine zweite erhalten, wenn sie diese erste nicht gleich essen, sondern warten, dann kann etwa die Hältfe der Kinder diese Willensstärke aufbringen. Untersucht man die gleichen Kinder 12 Jahre später erneut, weisen diejenigen Jugendlichen, die seinerzeit den Impuls zum Essen aufschieben konnten, eine wesentlich größere emotionale Kompetenz in mehreren Facetten auf. Sie hatten bei der Nachuntersuchung auch bessere Schulnoten (durch bessere Selbstbeherrschung und Konzentrationsvermögen?) als die anderen.
Auch nach anderen Untersuchungen haben sozial kompetente (resiliente) Kinder bessere Schulergebnisse und gelten als intelligenter.
Die psychologen sprechen gerne von “Stilen”, wenn sie sich nicht festlegen wollen, ob Eigenschaften nun angeboren oder erworben sind. Das ist bei Begriffen wie Fähigkeiten, Kompetenzen, Begabungen, Fähigkeiten anders.
Ergänzung
Prof. Dr. Wolfgang Seidel, Sindelfingen
Stichworte
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